Wie die Bäckerei Köck das Weltgeschehen veränderte oder eine fiktive Geschichte über Brot und anderes Gebäck.

WERNER SCHWAIGER

Es begann, wie alles Große beginnt: mit Mehl. Wobei Mehl ja eigentlich nur Staub mit Absicht ist. Winzige Körnchen, zu Boden geworfenes Mondlicht, das in den falschen Händen zur weißen Hölle, Hustenreiz und Augenbrand, in den richtigen aber zu knisternden Baguettes, Kipferln, Krapfen und Brot mit Kruste wird.

1955 also kam Robert Köck auf eine alte philosophische Daseinsessenz: dass das Leben ohne eine gescheite Semmel eigentlich unvollkommen ist. Schon die alten Griechen wussten um die weittragende Bedeutung des Semmelrunds. Ohne die unermüdliche Suche des ambitionierten Athener Hobbyteigwutzlers und Experimentalbäckers Platon nach der perfekten Handsemmel wäre sein berühmter Satz wohl undenkbar: „Rund ist das, dessen äußerste Punkte überall gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. Alleteigini Perfektio en mittos Semmelos!“ Leider hat sich Platon danach wieder in Unwesentlicheres verheddert, wie Ethik, Ideenlehre und Bartpflege. So wird das Kreiszitat Platons heute leider zumeist nur fragmental wiedergegeben und irrtümlich der Mathematik und nicht der Bäckerskunst zugeordnet.

Aber wieder ins Jahr 1955: Während Österreich sich langsam von den Kriegsjahren erholte und Wien schon wieder darüber diskutierte, ob es sich gehört, einen Gugelhupf manierlich mit der Gabel zu gaberln oder doch archaisch mit bloßen Händen stückweise ins saftelnde Kauwerk zu schoppen, wurde die erste Köck-Semmel geboren. Platon schau owa! Nicht nur eine Semmel, sondern eine, die sich in die Seelenlandschaft einfügen sollte wie ein Heurigenlied in eine laue Wiener Sommernacht oder der Bierschaum an den Krügerlrand einer frisch gezapften Halben beim Mürzer Sandwirt. Doch es ging nicht nur um Semmeln oder Brot. Es ging um einen Auftrag, eine Mission. Eine, die größer war als die Stadt, größer als die Monarchie, ja, sogar größer als der Grant des durchschnittlichen Durchschnittswieners oder der Durscht eines gestandenen Obersteirers. Eine Mission, die Jahrzehnte und Weltereignisse überdauern sollte.

1955: Die Staatsvertragssemmel

Während sich die Welt also neu sortierte, während in Österreich der Staatsvertrag verhandelt wurde, stand ein Mann mit gleichermaßen beseelten wie bemehlten Händen in der Stube und formte den ersten Semmelteig-Laib der Bäckerei Köck. Den Urlaib aller Laiber. Noch heute findet sich die Huldigung an dieses Form gewordene Meisterstück im Ausspruch “Ur Laiband”, aus dem durch schlampige Aussprache im Wiener Raum das heute noch gebräuchliche “Ur Leiwand” wurde.

Während die Großmächte mit ihren großmächtigsten Köpfen also über den österreichischen Staatsvertrag feilschten, war im Hintergrund ein kleiner amerikanischer Soldat mit einem viel wichtigeren Problem beschäftigt: Er hatte Hunger. Sein Name war Private First Class Joe “Tiny” Thompson – „Tiny“, weil er mit seinen 1,60 Metern kaum größer war als ein sitzender Russe. Tiny war seit Wochen in Wien stationiert, wo das Essen für ihn eine einzige Enttäuschung war, überall nur Wurst, Würstel, Würstel mit Wurst, Wurst mit Würstel – und Kaugummi. Eines Tages kam sein österreichischer Fahrer – ein gewitzter Mürzzuschlager namens Sepp – mit einem kleinen Papiersackerl daher und drückte

Bäckerei Köck Breaddance

Breaddance.
Eine bewegte Zeitreise
zwischen Platon,
Krapfenmond und frisch
gebackener Hoffnung.

Tiny eine noch warme köcksche Platon-Semmel in die Hand. “Iss deis, Deini”. Die Kruste knusperte so knusprig, dass er fast meinte, durch die Oberfläche eines gefrorenen finnischen Sees zu krachen, und das Innere war so weich, wie das zufriedene Seufzen eines kleinen Teig-Engelchens, das glücklich auf seiner Zunge schlief. Es war Perfektion. „Holy moly“, murmelte Tiny mit vollem Mund. „This… this is the bread of peace!“ Und es gilt nahezu fast ungefähr als gerüchteweise annähernd belegt, dass bald danach in einer dunklen Verhandlungsnacht irgendein Besatzungs-Diplomat eine Köck-Semmel in der Hand hielt, darauf biss und dachte: “Na gut, wenn das hier die Zukunft ist, dann unterschreiben wir.” Der Satz “Iss deis, Deini!” ist heute noch im obersteirischen Sprachgebrauch verankert, etwa wenn es um die ungeklärten Besitzverhältnisse einer Semmel geht: “Is deis deini?”.

1969: Der Mond ist (k)ein Kipferl

Während Neil Armstrong seine legendären Worte sprach („That’s one small step for man, one giant leap for mankind“), stellte man sich in Mürzzuschlag in der Bäckerei Köck eine viel wesentlichere Frage: Warum sieht der Mond manchmal aus wie ein Kipferl, manchmal wie ein Krapfen und meistens einfach als könne sich der Teig nicht entscheiden? Und heißt dennoch immer “Mond”? Würde ein Kipferl immer Kipferl heißen, auch in der Erscheinung

eines Krapfens, dann wäre das verwirrend, die reinste Naschwerklotterie. So ein Kipferl ist ja doch zu einem Krapfen im Vergleich ein wenig schmalgestrickt, wie ein zarter Zeisig zur hochgestopften Hausmastgans. Ein diesbezüglicher Antrag zur besseren Unterscheidung, den Mond je nach Erscheinungsform in Kipferl oder Krapfen umzubenennen, wurde allerdings unverständlicherweise von der internationalen Staatengemeinschaft abgelehnt. Die Mondlandung selbst geriet im Schatten dieser historischen Diskussion leider beinahe in völlige Vergessenheit und gilt heutzutage geradezu als ungewiss.

1989: Die Mauer fällt, das Brot bleibt

Besonders die DDR-Führung betrachtete die westliche KKKT – „Köck-Kipferl-Krapfen-Theorie“ – mit Argwohn. Sollte der Mond erst einmal den Namen wechseln dürfen, könnten dann nicht auch Bürger ihre Meinung ändern? Könnte gar ein sozialistisches System selbst bröckeln wie ein übermürbes Kipferl, wenn genug Menschen es einfach umbenennen wollten? So geschah das Unausweichliche. Während in Berlin Menschen über die Mauer kletterten und andere von ihren neuen Freunden aus dem Osten herzlichst umarmt wurden, stellten sich dabei unterschiedliche essenzielle Fragen: Dürfen die das? Werde ich umarmt oder ausgeraubt? Wie schmeckt Freiheit? Wie riecht sie? Nach Champagner, diesem prickelnden Irrtum im Glas? Nach Bananen, dem Vanillekipferl Asiens? Nein. Freiheit riecht nach frisch gebackenem Brot, nach warmer Semmel mit Butter oder nach einem Laib, der gerade aus dem Ofen gezogen wurde. Und irgendwo in Mürzzuschlag, weit weg von Berliner Mauerstücken, rieb ein Bäckermeister sich die Hände und wusste: Solange es Brot gibt, gibt es Hoffnung.

2025: 70 Jahre und kein bisschen altbacken

Heuer feiert die Bäckerei Köck ihr 70-jähriges Bestehen. Während industrielle Massenproduktion Brot und Gebäck in Einheitsteig ersticken will, bäckt Köck weiter mit Herz, Hand und Holzofen (der elektrisch ist, aber als Holzofen im Text besser klingt) und der Gewissheit, wenn es notwendig sein sollte, jederzeit die Weltgeschichte mit einem einzigen Backtag verändern zu können. Und manchmal, wenn man frühmorgens vor der Bäckerei Köck steht und der Duft von 70 Jahren Geschichte in der Luft liegt, dann weiß man: Die Welt mag sich ändern, Regierungen kommen und gehen, Menschen auf dem Mond landen – der eigentlich gerade Krapfen heißen sollte – aber eine frisch gebackene Semmel, ein ehrlicher Wecken Brot oder ein handgeformtes Kipferl bleiben immer das Größte.

Werner Schwaiger lebt in Mürzzuschlag, ist Programmgestalter für Literatur, spartenübergreifende Veranstaltungen und neue Medien im Kunsthaus Mürz sowie für das Kulturprogramm der Steirischen Eisenstraße. Neben seiner Tätigkeit als Kulturvermittler arbeitet er als Konzepter und Texter in der Werbung, schreibt Satiren und ist als Ghostwriter für Kabarett tätig. Von 2020 bis 2025 war er Mitglied im Kulturkuratorium des Landes Steiermark.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner